Kapitel 7
   
  Verantwortung, wer nahm,
wer nimmt sie wahr?
  Die Jugend und die Krise brauchen Vorbilder.






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Der Ministerpräsident Matthias Platzeck, der für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit steht, bekommt bei seinen Veranstaltungen, die soziale Ungerechtigkeit ständig um die Ohren gehauen. 50% der Menschen im Osten sind von der sozialen Marktwirtschaft enttäuscht. Und die Verantwortungslosigkeit (Stichwort Ex-Postchef Klaus Zumwinkel) ist mit den Händen zu greifen. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Verantwortung ein ständiges Thema in den Medien sein sollte. Ich hoffe, dass Ex-CDU-Vize von Rheinland-Pfalz Christoph Böhr mit seinem neuen Buchvorhaben "Politik, Religion und Gesellschaft" die (persönliche) Verantwortung auch zum Schwerpunkt macht.

Ex-Bundespräsident Roman Herzog in seiner Berliner Ruck-Rede am 26. April 1997:
"Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem… Zur Selbstverwirklichung gehört auch die Pflichterfüllung."

Heidi Schüller: "Wenn dieser Sozialstaat in seinen Grundfesten bestehen will, dann verlangt das ein Engagement von allen Mitgliedern der Gesellschaft, je nach Kraft und Möglichkeit, finanziell oder durch persönlichen Einsatz."
Wo sind sie denn, die Menschen mit Verantwortungsgefühl und Gerechtigkeitsempfinden in diesem Land? Die Begriffe Solidarität, Sozialstaat, soziale Gerechtigkeit klingeln heute fast hilflos und rührend."
Die Wenigen, die sich angesprochen fühlen, können es nicht allein schultern.
Die guten Taten müssen zu einer Massenbewegung werden. Hier ist besonders die persönliche Verantwortung bei den Vermögenden gefordert, wenn 5000 Milliarden sich in Privatbesitz befinden.

So könnte man auch die Rede vom Bundespräsidenten Horst Köhler in der Elisabethkirche in Berlin am 24. März 2009, über die Gefahren und Chancen der Weltwirtschaftskrise, diesem Kapitel voranstellen. Würde man sie beachten und umsetzen, bräuchte niemand Zukunftsangst zu haben. Ich gebe einige Aussagen sinngemäß wieder:

  • Es geht um Verantwortung für die Zukunft; jeder kann was leisten.
  • Jetzt ist die Zeit für eine globale Solidarität im Kampf gegen Armut und Klimawandel; wir sitzen alle im selben Boot. Sicherheit, Wohlstand und Frieden ist nur global zu erreichen.
  • Solidarität ist Selbsthilfe, Verantwortung für den Nächsten, zum Wohl des Ganzen. Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.
  • Was ist mit der Selbstkritik der Verantwortlichen der Finanzkrise über den angerichteten Schaden; was mit ihrer Beteiligung an der Wiedergutmachung?
  • Die Regierung steht vor einer immensen Herausforderung.


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   Jetzt ist die Zeit, Lebensgewohnheiten zu ändern und Undenkbares zu denken.

Soweit aus der Rede.

Aber haben wir uns nach der Ruckrede von Ex-Bundespräsident Roman Herzog auf die Socken gemacht? Das Gegenteil ist eingetreten. So befürchte ich, dass wiederum nichts Nachhaltiges passiert. So ist weiter Aufklärung erforderlich.

Heidi Schüller, geboren 1950, verheiratet, zwei Kinder; 1972 Mitglied der deutschen Olympiamannschaft, bis 1984 Oberärztin an der Universitätsklinik Köln; danach Journalistin, Autorin. Mit ihrem Buch Wir Zukunftsdiebe forderte sie uns schon vor über 10 Jahren zur Umkehr auf. Aber wir nahmen sie nicht an.
Ihre Befürchtungen wurden von der Wirklichkeit um ein Vielfaches übertroffen.
So wie man nicht auf den englischen Banker Paul Moore hörte, der klar voraussagte, dass dieses System der Deregulierung, der Zockerei, der faulen Kredite, leben auf Pump zum Desaster führen muss. Aber die Gier, sich vorher noch die Taschen voll zu machen, war stärker.
Nicht anders ging es Kanzler Schröder und Außenminister Fischer, die mit Gleichgesinnten dringend vor dem Irakkrieg 2003 warnten,
und nicht anders erging es Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und noch paar Wenige, die 1914 den Ersten Weltkrieg verhindern wollten.

Einige Auszüge aus dem Buch von Heidi Schüller vor 10 Jahren:

  • Mich treibt Verantwortung und Sorge um die politische Reformkraft der heutigen Entscheidungsträger um.
  • Wir haben uns übernommen, zu lange auf Pump gelebt -mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft. Auf die Zukunft unserer Kinder…Der Status quo gefiel uns zu gut. Dass er unseriös finanziert war, hat uns lange nicht geschert.
  • Wir finanzieren unsere sozialen Leistungen seit Jahren auf Pump.
  • Sie werden direkt oder indirekt die Suppe auslöffeln: arbeitslos, würdelos, chancenlos…Das ist der Nährstoff, aus dem Randale erwächst - nicht sofort, sondern zeitverzögert. Eine düstere Vision, aber eine realistische.
  • Wie eine Infratest-Studie im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums Ende 1996 ermittelte, hat jeder vierte Seniorenhaushalt in den alten Bundesländern bereits mehr als 5000 DM im Monat netto zur Verfügung. Davon können viele Erwerbstätige und junge Familien nur träumen. Wir leben in einer dramatischen Umbruchsphase.
  • So summierten sich die im Jahr 1995 an Privatpersonen vergebenen Kredite auf gigantische 1,18 Billionen DM… Es riecht nach offenem Konflikt: zwischen Jungen und Alten, zwischen Er-


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  • werbstätigen und Wohlfahrtsempfängern, zwischen Chancenlosen und Überversorgten.
  • Wenn die Politik sich nicht mehr zeitgerecht um die realen Nöte der Menschen kümmert, kümern sich die Menschen irgendwann nicht mehr um die Politik. Enttäuscht, resigniert, verbittert.
  • Außerdem sind die gutsituierten kinderlosen Doppelverdiener jetzt gefordert. Deren Privilegierung muss ein Ende haben.
  • Solange durch rüde Massenentlassungen deutliche Kursgewinne und Bilanzverbesserungen zu erzielen sind, müssen konzeptlose Erfolgsprämien für Topmanager als "Abschlachtprämien" bezeichnet werden.
  • Aber insgesamt gibt es immer mehr Jugendliche, die sich von der Erwachsenenwelt abwenden, von ihrer Verlogenheit, ihrer Verantwortungslosigkeit.
  • Der Staat soll doch für sie sorgen…so halt es aus den Wagenburgen der Besitzstandsbewahrer.
  • Eine staatliche Altersversorgung, die nicht etwa Lebensleistung honoriert, sondern rücksichtslose Cleverness und Klientelpolitik auf dem Rücken anderer, ist nicht mehr hinnehmbar.
  • Das Erbe an Altlasten, das wir Zukunftsdiebe Euch hinterlassen, wird fürchterlich. Jetzt müssen die unhaltbaren Versprechen und Wahlgeschenke der Vergangenheit zumindest teilweise eingesammelt werden. Die Lügerei muss ein Ende haben… und die Grenzen des Möglichen respektieren.
  • Unbequeme, aber notwendige Politik wird erst durchsetzbar, wenn ein Bewusstseinswandel in der Öffentlichkeit stattgefunden hat.


Soweit die Auszüge, eine hervorragende Analyse von Heidi Schüller.
Sie hat mit ihrem Buch eine realistische Zustandsbeschreibung geschildert und notwendige politische Konzepte -ohne Tabus- aufgezeigt. Aber wir nahmen sie nicht an.

Das Verhalten der Verantwortlichen für die heutige Weltwirtschaftskrise oder das skrupellose Beispiel von Herrn Zumwinkel, die unverfrorenen Abzocker a la Funke, usw.
konnte sich Frau Schüller nicht vorstellen. Auch für eine kleine Zeitungsnotiz zu Ostern 2009 im Wiesbadener Kurier dürfte Frau Schüller kein Verständnis haben:

Gehaltssprünge bei Managern gerügt. Das Bundesversicherungsamt hat nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" satte Gehaltssprünge bei den Spitzengehältern der Vorstände der Techniker Krankenkasse (TK) moniert. Nach der Fusion mit der Internet-Kasse IKK-Direkt erhält der Vorstandsvorsitzende Norbert Klusen demnach jährlich 273 000 Euro, zuzüglich Dienstwagen und "großzügiger Vorsorgeaufwendungen". 2008 bekam er noch 245 000 Euro sowie

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einen Sonderbonus von 50 000 Euro. Nach Einschätzung der Bonner Aufsichtsbehörde wären für Kluse 210 000 Euro angemessen, schreibt der SPIEGEL. Das Image der Manager ist so schlecht wie nie zuvor. Es herrschen Unverständnis, Zorn, blanke Verachtung in der Bevölkerung über das unvorstellbare Maß der Zockerei, mit der hohe Bonuszahlungen erreicht wurden.

Prediger 5, 9:
Wer am Geld hängt, bekommt nie genug davon. Wer ein üppiges Leben liebt, dem fehlt immer noch etwas. Auch das ist sinnlos

Wer nimmt seine Verantwortung wahr?
Joachim Fernau: Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh…
Und so stimme ich ja durchaus mal mit dem Papst Benedikt XVI. überein. Der Papst wörtlich: Die Sache mit den Menschen geht nicht auf ohne Gott, die Sache mit der Welt, dem ganzen weiten Universum, geht nicht auf ohne ihn.
Aber die Sache geht genau so wenig auf mit einem verwässerten, zahnlosen Glauben, dem Sonntagschristentum. Ich hoffe, ich konnte da einiges an Aufklärung leisten.

Altbischof Franz Kamphaus:
"…denn Elendsviertel sind der Nährboden für Fanatismus und schon gar nicht gebe es mehr Frieden ohne Religion; denn wenn der Mensch aufhört Gott zu dienen, fängt er schnell an Gott zu spielen."
Auch in der Talkshow mit Anne Will am 29.03.09 erfuhren wir von der Kandidatin zur Bundespräsidentenwahl, Gesine Schwan, dass die Finanzkrise -Systemkrise- viel tiefer ginge. Auch die Gesetze zu mehr Kontrolle, Transparenz usw. würden das Vertrauen nicht zurückgewinnen, wenn die Menschen, die dahinter stehen, nicht ihre Verantwortung wahrnehmen würden. Aber woran liegt das?
Sören Kirkegaard (1813-1855): Es gibt gar kein Christentum. Die wunderbaren menschlichen Instinkte können mit einem Sonntagschristentum nicht überwunden werden.

Martin Niemöller 1949:
"Wir sind als Christen nicht dazu da, die bestehende Gesellschaftsordnung zu verteidigen, sondern wir sind dafür verantwortlich gemacht, dass inmitten dieser Welt den Menschen um uns her alle Gerechtigkeit zuteil werde, die erreicht werden kann."

Martin Luther King (1929- 1968 ermordet) Friedensnobelpreisträger:
Das Licht ist in die Welt gekommen. Jeder muss sich entscheiden, ob er im Licht der Nächstenliebe oder im Dunkel der Eigensucht leben will. Danach werden wir beurteilt. Die wichtigste Frage lautete daher: Was hast du für andere getan?

Dorothee Sölle: "Wir leben faktisch nicht für andere, wir plündern andere aus, wir leben für uns… Du bewunderst ihn vielleicht, aber du willst ihm nicht nachfolgen.

mit Seite 386 bis 528 geht dann Kapitel 7 weiter